Über uns

Zeitzeuge: Fadime Kirik -Die Reise ihres Lebens

Wie kamen Sie nach Deutschland?
Ich war 15 Jahre alt, lebte in einem Dorf namens Camili (Imamoglu), als eine Bekannte aus dem Dorf zu Besuch aus Deutschland kam. Sie hat uns viel von Deutschland erzählt und weckte mein Interesse. Ich verlor mich in der Vorstellung, neues zu erleben, zu arbeiten und auch eine neue Sprache zu erlernen. Mein Vater hat es mir nicht erlaubt nach Deutschland auszuwandern. Ich machte meinen Hauptschulabschluss und bekam durch den Abschluss einer Sonderprüfung die Zulassung zum Lehramt für eine Mädchenschule. Bei zehn Kindern fehlten uns die finanziellen Mittel, um die Ausbildung zu finanzieren.

 

Ich machte mein Abitur und kurz darauf verstarb mein Vater. Mit 17 Jahren hatte ich immer noch die Tagträume von einem Leben in Deutschland und ging das erste Mal alleine in die Großstadt Adana zum Arbeitsamt, um mich dort als Arbeiterin für Deutschland zu melden. Nach drei Wochen bekam ich eine Einladung zum Einstellungstest von Siemens in Istanbul. Nach Einreichung aller Unterlagen sollte mir mein Pass ausgehändigt werden, aber die Aushändigung wurde abgelehnt. Ich war keine 18 Jahre alt. Mit Ach und Krach überredete ich meine Mutter zur Zustimmung. Jetzt konnte es endlich losgehen, die Reise meines Lebens.

Sie sollten zuerst in München leben und arbeiten, warum haben Sie abgelehnt?
Auf dem Weg von Adana zum deutschen Konsulat in Istanbul machte ich 75 türkische Lira Schulden, um die Reise zu finanzieren. Nach zahlreichen Gesundheitskontrollen wurden wir von einem Siemensbeauftragen dem  Einstellungstest unterzogen. Unser Wissen wurde in Geschichte, Erdkunde  und Mathematik geprüft. Von ca. 60 Personen haben knapp 25 Personen die Prüfung bestanden. Diejenigen, die die Prüfung nicht bestanden haben, wurden anderen Firmen wie z.B. Fischfabriken, Konservenunternehmen etc. zugeordnet. Nach dem mir mitgeteilt worden ist, dass auch ich die Prüfung bestanden hatte, bekam ich bereits dort meine Arbeits- sowie Aufenthaltserlaubnis für Deutschland. Im Anschluss wurden wir nach Städten zugeordnet und aufgeteilt. Ich wurde Siemens in München zugewiesen. Ich fragte, ob München eine Großstadt sei, man sagt ja, sogar eine sehr große. Ich kam aus dem Dorf mit nicht einmal 400 Einwohnern, die Großstadt war mir unbekannt. Ich fragte auch, ob ich einer kleineren Stadt zugewiesen werden konnte. Mit einem Mädchen tauschte ich München mit Regensburg. Wir waren eine der wenigen, die mit dem Flugzeug nach Deutschland eingeflogen sind. Viele kamen mit dem Zug. Bevor unser Flug ging, hielten wir uns weitere zwei Tage in Istanbul auf. Ich kaufte mir dort einen Traumdeuter und ein Kochbuch, diese Bücher habe ich heute noch.

Wann kamen Sie an?
Die Ankunft am Flughafen München war am Morgen des 6. Mai 1972. Wir wurden von einem Landsmann abgeholt, der Deutsch konnte. Wir fuhren mit dem Bus weiter zum Münchener Hauptbahnhof. Unterhalb des Bahnhofes waren Abteilungen für die einzelnen Städte: Regensburg, München, Nürnberg, Amberg. Dort bekamen wir auch eine Brotzeittüte. Von da aus setzte man uns in den Zug nach Regensburg mit dem Hinweis, dass wir zur angegebenen Zeit aus dem Zug aussteigen sollen. Wir waren auf uns allein gestellt. Als wir ankamen, gab es leichten Schneeregen und am Regensburger  Hauptbahnhof begrüßte uns ein weiterer Siemensbeauftragter und brachte uns zu einem Heim gleich gegenüber des Werks von Siemens. Wir mussten schnell sein, unsere Sachen ablegen und gleich zum Werk gehen. Dort wurden wir herzlich empfangen und bekamen gleich 50 DM Vorschuss. Im Heim wohnten viele Landsleute, die uns halfen, uns zu Recht zu finden. Einkaufmöglichkeiten wurden uns gezeigt, Bekanntschaften, die mit der Zeit zu festen Freundschaften wurden, wurden geschlossen. Mit 15 DM wurde der Einkaufswagen bereits voll – unvorstellbar zur heutigen Zeit. Am selben Tag schickte ich meiner Mutter 20 DM, damit sie umgehend meine Schulden begleichen konnte.

Wie entwickelte sich Ihr Leben in der BRD?
Angekommen in Deutschland waren wir vier Mädchen in einem Zimmer mit zwei Etagenbetten. Nach meiner Eheschließung am 26. Dezember 1978 kam auch mein Mann nach Deutschland. Er allerdings begann sein Arbeitsleben in einer Keramik-Fabrik. Ich arbeitete neun Jahre für Siemens, aber fand meine Berufung in der Gastronomie. Ich machte eine Ausbildung zur Köchin bei einem Italiener. Den Mut, die Idee vom eigenen Restaurant zu verwirklichen und die türkische und die deutsche Esskultur zu vereinen, hatte ich mit 34 Jahren als Mutter von zwei Kindern. Meine Leidenschaft machte ich zu meinem Beruf.

Haben Sie Ihre Träume verwirklichen können?
Ich kam mit sehr jungen Jahren nach Deutschland. Ich verließ meine Familie, meine Verwandten und Freunde, meine Heimat. Ich konnte kein Wort Deutsch, wusste nicht, wo ich arbeiten werde und wie hart ich arbeiten müsste. Das Land war fremd, die Menschen waren fremd. Alles, was im Leben von Wert ist, bekommt man nicht geschenkt. Harte, ehrliche Arbeit und Fleiß werden belohnt, egal wo man ist. Es ist wichtig, die wirklich wertvollen Dinge im Leben anzustreben und dafür bin ich Deutschland dankbar, dass auch mir die Möglichkeit geben worden ist, meine Tagträume in einem mir unbekannten Land zu verwirklichen.